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GRENZGÄNGER

Leben in Papua Neuguinea – „einfach – schwer“

Interview mit dem Dokumentarist Daniel von Rüdiger

Papua-Neuguinea ist anders. Bis heute gilt Neuguinea als die Insel des Abenteuers und verspricht Unerwartetes. Die Bevölkerung am Sepik Fluss gehört zu einer der letzten, die ihrem ursprünglichen, selbstversorgenden Lebensstil treu bleiben konnte. Daniel von Rüdiger wurde von der Dorfgemeinschaft aufgenommen und dokumentiert ihre nachhaltige Lebensart.
Am 08.Mai ist er mit seiner Reportage „Leben in Papua Neuguinea“ in unserem Livestream zu Gast. Im Interview erzählt Daniel über seine gewonnenen Eindrücke und über das, was wir voneinander lernen können.

Für die, die dich noch nicht kennen: Erzähle doch bitte kurz etwas über dich.

Wo soll man da anfangen? Ich habe Kommunikationsdesign studiert und gerade meine Promotion an der Kunstuniversität in Linz beendet. Ich bin Filmemacher, Fotograf und als Musiker bei dem Projekt 0101 beteiligt. Wenn ich nicht gerade an einer neuen Sozial-Dokumentation arbeite, unterrichte ich, gebe Vorträge oder Plane die nächste Dokumentation. Ansonsten würde ich mich als Optimist bezeichnen – das erleichtert jede Reise.

Wie kam es dazu, dass du nach Papua-Neuguinea gereist bist, um dort abgelegene Dörfer zu dokumentieren?

Dies hat sich eher zufällig ergeben als ich für ein Jahr mein dokumentarisches Schaffen unentgeltlich für soziale Projekte anbot. Ich wurde von Elizabeth Cox vom NGO HELP Resources kurz erklären? eingeladen, um sie in abgelegene Gebiete am Sepik Fluss zu begleiten und das Leben in den dortigen Dörfern für Bildungszwecke zu dokumentieren. Die Region verändert sich sehr schnell und es ist wichtig das Wissen und die Lebensart für nachfolgende Generationen festzuhalten.

Wie lange hast du dort gelebt?

Es waren nacheinander drei Expeditionen. Insgesamt habe ich etwas über drei Monate in den Siedlungen mit den Selbstversorgern gelebt.

© Daniel von Rüdiger, Der ‚Mighty‘ Sepik, eines der letzten ursprünglichen Flusssysteme der Erde.

Durch unsere Kleidung, Lebensart und Gewohnheiten unterscheiden wir uns sehr von den Inselbewohnern. Wie wurdest du dort empfangen? Was fanden die Dorfbewohner besonders spannend an dir?

Das mit der Lebensart und den Gewohnheiten stimmt auf jeden Fall. Da die Bewohner heute zumeist Secondhand-Kleidung tragen ist diese nicht so anders. Bei den Kindern von denen manche noch nie einen ‚Weißen‘ gesehen haben, ist es sicherlich meine Hautfarbe und meine hellen Haare die etwas Angst machen können, aber auch große Neugier wecken. Und dann sind da viele Sachen an die man erst gar nicht denkt. Die Dorfbewohner waren z.B. sehr überrascht wie ich schwimme. Sie haben wohl noch nie erlebt das jemand beim Schwimmen immer wieder mit dem Kopf unter Wasser geht. Insgesamt bin ich sehr herzlich und neugierig empfangen worden. Das lag aber auch dran, dass sie auf meinen Besuch vorbereitet waren.

Wie hast du es geschafft, von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen aufgenommen zu werden?

Elizabeth Cox ist gebürtige Australierin, lebt und arbeitet aber seit beinahe 40 Jahren als engagierte Sozialarbeiterin in der Region. Da sie mich den Bevölkerungsgruppen vorgestellt hat, wurde mir der Zugang erleichtert. Wie überall ist es wichtig den Personen mit Respekt zu begegnen, sich auf ihre Lebensart einzustellen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Sprich, mit ihnen zu essen, mit ihnen ein Haus zu teilen und auch mal mit ihnen zu arbeiten. Gerade unter Männern hilft es auch ihre Genussmittel zu konsumieren.

Findet man bei all den Unterschieden leicht eine gemeinsame Ebene?
Insbesondere über eine Mischung aus Respekt und Humor baut man durchaus engere Beziehungen auf. Wie immer sind Menschen unterschiedlich und damit sind einem manche mehr sympathisch und manche weniger. Das ist gut so, dann merkt man, dass man sie persönlich wahrnimmt und nicht denkt sie seien alle gleich.

Und wie hast du dich verständigt?
Es gibt über 700 verschiedene Stammessprachen in Papua-Neuguinea. Damit sich die Bevölkerung überhaupt miteinander verständigen kann wurde ein Pidgin Englisch – das Tok Pisin eingeführt. Dies ist ein sehr einfaches Englisch, das noch dazu deutsch ausgesprochen wird. Ich möchte dazu beitragen, dass diese Sprache zur Weltsprache wird und gebe ein bisschen Sprachunterricht bei meinen Vorträgen. Nach ein paar Wochen versteht man schon einiges. Zudem sprechen viele auch etwas Englisch.

Magst du uns einen kurzen Einblick in den Alltag der Papuas geben: Was steht an der Tagesordnung? Was ist Aufgabe der Männer, Frauen und Kinder?

Als Selbstversorger ist man sehr viel mit selbst versorgen beschäftigt. Die Arbeit kann aber gerade deswegen so befriedigend sein, weil man immer für sich selbst arbeitet und seinen Bedürfnissen folgt. Es gibt keinen Arbeitsgeber und damit keine festen Arbeitszeiten, aber eben auch keinen Urlaub.
Die Frauen sind vornehmlich für die Versorgung mit Essen verantwortlich und haben damit auch den Handel mit benachbarten Dörfern unter sich. Sie leisten für die Gemeinschaft enorm viel und müssen nebenbei noch Babys zur Welt bringen und diese versorgen. Die Männer sind für die Infrastruktur zuständig. Sprich, Kanus bauen, Häuser reparieren und wenn es der Wasserstand zulässt auch mal jagen gehen. Sie haben auch das kulturelle Leben in ihrer Hand. Das gibt ihnen Zeit in ihrem Stammeshaus zu sitzen, Dorfpolitik zu besprechen, zu schnitzen und zu musizieren. Das Leben der Kinder hatte für mich etwas von Peter Pan – nur ohne den bösen Hook. Sie bilden früh einen eigenen Teil der Gesellschaft und versorgen sich selbstständig indem die Älteren auf die Jüngeren aufpassen.

Lebt die Bevölkerung wirklich vollkommen abgeschottet oder welchen äußeren Einflüssen ist sie ausgesetzt?

Nein, sie ist nicht abgeschottet. Sie ist nur sehr schwer zu erreichen. Man kann nur auf dem Wasser reisen und der Sprit ist teuer. Damit kommen selbst Angestellte der Regierung nur sehr sporadisch in die Sumpfgebiete. Aber dennoch kamen immer wieder Missionare, Kolonialmächte, Ethnologen und auch vereinzelte Touristen oder Abenteurer vorbei. Leider ist der Sepik durch die große Frieda Kupfer- und Goldmine bedroht. Mit der Förderung wird es wohl dieses Jahr beginnen. Dies könnte das Ökosystem des gesamten Flusssystems verändern. Wo es was zu holen gibt, kommt früher oder später immer jemand.
Eine weitere Veränderung ergibt sich durch den Ausbau des Telekommunikationsnetzes. Dies ist Segen und Fluch zugleich. Es bringt mehr Sicherheit und ermöglicht Wissensaustausch aber eröffnet auch ein Fenster zu einer anderen Welt, die man schnell vermisst ohne sie überhaupt zu kennen.

Du hast nicht nur ihren Alltag erlebt, sondern auch ihre Traditionen kennengelernt. Was hat dich am meisten beeindruckt?

Als Musiker und Schlagzeuger hat mich sicherlich die rhythmische Qualität der kulturellen Ereignisse begeistert. Insbesondere die großen Garamut-Trommeln, die von mehreren Männern gleichzeitig gespielt werden können, sind beeindruckend. Sie verwenden die lauten Schlitztrommeln auch zur Kommunikation indem bestimmte Rhythmen für Nachrichten stehen. Das geht so weit, dass einzelne Personen direkt über bestimmte Schlagrhythmen angesprochen werden können. Man kann sozusagen persönlich vom Trommelhandy angerufen werden und versteht ob das Essen fertig ist oder es einen Notfall gibt.

Was hast du von der selbstversorgenden Dorfbevölkerung gelernt – Was hast du dir von den Bewohnern abgeschaut und mit nach Hause genommen?

Man nimmt viel an Wissen und Eindrücken mit nach Hause und sicherlich auch an Vorsätzen. Für mich war es lehrreich eine anders Konzept von Zeitt erleben zu dürfen. Einige Bewohner wissen nicht wie alt sie sind, zählen keine Tage, Wochen, Monate und Jahre. Aber eine solch radikale Form der Zeitlosigkeit würde bei uns nicht funktionieren. Meine Vorträge sind an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Länge. Das macht vieles auch einfacher und wir haben uns an die künstlichen Zeitstrukturen gewöhnt.

Und was können wir voneinander lernen? Von ihnen? Oder wen meinst du mit „wir voneinander“

Leider gehen wir, sprich die wirtschaftsstarken und reichen Staaten, davon aus, dass nur die sogenannten Entwicklungsländer etwas von uns lernen können. Es wird hier ein technologischer und intellektueller Vorsprung als Maß aller Dinge gesehen. Und ja, sicherlich können wir ihnen z.B. etwas über Krankheiten und deren Vorsorge lehren. Aber unsere Entwicklung ist auch ein globales Problem und wir haben vieles verlernt, gerade weil wir unsere Bedürfnisse nicht mehr selbst decken müssen. Wir können auf jeden Fall etwas über Nachhaltigkeit von ihnen lernen. Damit meine ich nicht, dass es realistisch ist ihren Lebensstandard anzustreben. Aber wir können von ihnen lernen was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet und dieses Wort nicht einfach über alles stülpen und uns dann besser fühlen. Das Wort kommt von der Forstwirtschaft und es geht im Kern darum nicht mehr Bäume zu verbrauchen als nachwachsen. Ich finde es ist ein wichtiger Anfang sich einzugestehen wie weit wir davon entfernt sind. Die Menschen am Sepik können helfen zu vermitteln, dass es kein Zusammenhang zwischen Konsum und Lebensfreude gibt – auch wenn es wohl menschlich ist diesem Glauben zu verfallen.

Der Untertitel deiner Reise-Reportage lautet „einfach – schwer“. Was macht denn jeweils das Leben der Menschen dort einfach bzw. schwer?

Ich sehe es nicht als Wertung, sondern vielmehr als Kontrast zu unserem, dass ich als ‚komplex – leicht‘ deklarieren würde. Ihr Leben ist „einfach“ da wenig Entscheidungen zu fällen sind. Die Auswahl an allem, ob Lebenspartner, Essen, Beruf oder Urlaubsziel ist viel, viel kleiner. Aber es ist auch „schwer“, da sie auf sich gestellt sind und auf wenig bis keine Hilfe zurückgreifen können. Ich kann kein Krankenwagen rufen, wenn ich mir ins Bein hacke und wenn ich keinen Fisch fange kann ich mir stattdessen auch keinen Mc Fish auf dem Weg nach Hause besorgen.

Als du wieder nach Deutschland zurückgekommen bist: Wie hast du den Kontrast – Wildnis vs. Zivilisation erlebt?
Oftmals erlebt man beim Reisen den Kontrast wirklich stärker, wenn man in sein gewohntes Umfeld zurückkommt. Ich bin danach direkt in die USA gereist. Ich kann mich noch erinnern wie geschockt ich bereits am Flughafen in LA darüber war, wie ungesund die Menschen aussehen. Und ja, auch wenn es klischeehaft klingt, selbst nach so kurzer Zeit in der „Wildnis“ fällt einem auf wie künstlich alles riecht und dass wir nur von Industrieprodukten umgeben sind.

Und nun noch ein paar abschließende Worte: Was erwartet die Besucher in deiner Reportage?

Ich werde versuchen einen möglichst wertfreien aber dennoch aufregenden Einblick in eine andere Lebensweise zu geben. Die Welt ist dort nicht so anders, weil die Menschen so anders sind, sondern weil ihre Lebensumstände sehr unterschiedlich sind. Meine persönlichen Erfahrungen sollen helfen diese andere Seite der Welt in Reflexion mit unserer Lebenswelt zu bringen. Neben wissenswertem zu Land und Leute ist mir wichtig, dass die Besucher, die Dorfbewohner, von denen einige auch meine Freunde wurden, über kleine Geschichten kennenlernen. Um den Klischees der „Wilden“ entgegenzutreten, werden die Papuas auch selbst zu Wort kommen. Als Fotograf und Filmemacher ist mir die Qualität der Aufnahmen natürlich auch eine Herzensangelegenheit.

In unserem in unserem Livestream am 08.05 könnt ihr die Reportage „Leben in Papua Neuguinea“ live erleben.

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